Das 21. Thomas-Mann-Festival bot an seinem zweiten Tag viele Veranstaltungen für seine Besucher: ein Treffen mit dem Schriftsteller Manfred Flügge, der sein bereits ins Litauische übersetztes Buch „Das Jahrhundert der Manns“ vorstellte, ein Konzert, das litauischen Komponisten gewidmet wurde, und eine performative Führung mit virtuellen Elemente sowie eine Austellungseröffnung.

Die Liebhaber der Werke von Thomas Mann versammelten sich am Sonntagnachmittag im Thomas-Mann-Haus. Der Schriftsteller Manfred Flügge stellte sein Buch „Das Jahrhundert der Manns“ vor (Übersetzung ins Litauische von Kristina Sprindžiūnaitė). Die Vorstellung wurde von der Historikerin und Vorsitzenden des Kuratoriums des Thomas-Mann-Kulturzentrums Dr. Ruth Leiserowitz moderiert. Laut dem Autor, kenne er die Werke von Heinrich und Thomas Mann seit seiner Schulzeit. Viele seiner Bücher beschäftigten sich direkt oder indirekt mit der Familie Mann, mit Exilorten wie Sanary, Nizza oder Los Angeles. M. Flügge habe auch eine Biographie von Heinrich Mann geschrieben, ein Buch über Thomas Manns Sekretär Konrad Kellen und ein Buch über Eva Herrmann, eine Freundin der Familie. Nachdem er lange an diesem Thema gearbeitet habe, habe er es letzendlich gewagt, eine Familienbiographie über „alle Manns“ zu schreiben, mit der Leitidee, wie aus dieser Familie ein Mythos werden konnte. Wie der Schriftsteller auf der Buchvorstellung sagte, sei es keine schwierige, sondern eine wahnsinnige Aufgabe gewesen. Im Buch offenbart der Autor, wie sich das dramatische 20. Jahrhundert im Schicksal der Manns spiegelt. Er verriet, dass er bisher an fast allen Lebensorten der Familie Mann gewesen war. Ab jetzt kommt ein wesentlicher Ort hinzu – Nida.

Der litauische Kulturbereich offenbarte sich durch die Musik. Obwohl am Anfang des 20. Jahrhunderts immer mehr litauische Künstler nach Vilnius strömten, entstand auch in Klaipėda eine Stätte litauischer Kultur. Die in der Hafenstadt 1923 gegründete Musikschule (das Konservatorium) erhielt eine besondere Rolle. Gerade mit den Stücken des Gründers dieser Musikschule, Stasys Šimkus, sowie mit denen der beiden Absolventen Juozas Pakalnis und Jeronimas Kačinskas haben sich die Besucher des Festivals im Konzert„Stunde der litauischen Musik“ bekannt gemacht. In der Evangelischen Kirche Nida erklangen folgende Stücke für Flöte und Klavier von J. Pakalnis (1912–1948): „Klage“ (1946), „Traum“ (1943) und „Tanz mit einem Bogen“ (1942); darüber hinaus wurden der I. und der III. Satz aus dem Zyklus „Reflexionen“ für Klavier (1957) von J. Kačinskas (1907–2005) und die Auszüge aus den Klaviervariationen „Silhouetten Litauens“ und „Der Klang des Abends“ von S. Šimkus aufgeführt.

Die Chorwerke der Komponisten wurden vom Kammerchor „Aidija“ gesungen. Der Dirigent des Chors war der künstlerische Leiter Romualdas Gražinis. Die Stücke der litauischen Komponisten wurden von den Pianisten Daumantas Kirilauskas und Eugenijus Žarskus dargeboten. Die Zuhörer hatten die Gelegenheit, einen Debütanten des Festivals, den talentierten Flötist Vytenis Gurstis, zu hören.

Am Sonntag wurde auf dem Thomas-Mann-Festival auch das Programm der Künste eröffnet. Die Künstlerinnengruppe „Cooltūristės“ veranstalteten mittags in Nida eine eindrucksvolle perfomative Führung mit virtuellen Elementen „Mis(s)appropriation. Eglė, die Königin der Nattern“ und am Abend wurde in der Kunstkolonie Nida der Kunstakademie Vilnius die Ausstellung „Meeresspiegel. Das Märchen von der Natter“ (Kuratorinnen Suza Husse und Emma Haugh, Deutschland) eröffnet. In der Ausstellung, die bis zum Ende des Sommers läuft, werden Werke litauischer und anderer Künstler gezeigt, mit denen man auf das Meer und die interkulturelle Mythologie zurückblickt und dies mit den aktuellen heutigen Themen in Beziehung bringt.

„Meeresspiegel. Das Märchen von der Natter“ ist ein polyphones Orakel in Form einer Ausstellung, eine Reihe von Interventionen, sowie ein Radiomagazin des Kollektivs „The Many Headed Hydra“ („Die vielköpfige Hydra“) . Die vielköpfige Hydra, die auf das Meer als ein Spiegel und auf die Natter als einen Trickster blickt, taucht diesmal in der Kunstkolonie Nida auf, um aus den Verstrickungen von Landschaft, Körper und Macht neue Erzählungen herzustellen.

Das Märchen von der Natter ist ein Verweis auf die bekannteste Version der Legende über Eglė, die Königin der Nattern: auf die 1940 von der Dichterin Salomėja Nėris verfassten Ballade über den Verlust des eigenen Zuhause, den Zusammenstoß mit den Fremden, die Liebe, den Verrat und den Tod. Als Reaktion auf die in der Ballade beschriebenen Verwandlungen von Mensch zu Reptil und von Mensch zu Baum und in Bezug auf die historische Verbindung dieses Werks mit der nationalisierten Kultur und mit der Migration, bieten die Vilniusser Künstlerinnen der Gruppe Cooltūristės und die isländische Künstlerin Bryndis Björnsdottír, die die Performance gab, subversive Leseversionen des Mythos. Zusammen mit der Videoprojektion von Sondra Perry „Schwarzes Mädchen als eine Landschaft“ stellen sie das patriarchalische Repräsentationsmodell der Landschaft als eines Körpers, der ausgebeutet, betrachtet, bewertet und nationalisiert wird, in Frage und zerstören es.