Jokūbas Andrijauskas
Normalerweise bleiben mir Gespräche lang in Erinnerung haften, in denen ich mehr hätte sagen können, aber vielleicht war das Gespräch gehetzt, vielleicht hatte ich auch den Hauptgedanken nicht erfasst und extrahiert. Als ich einen Freund traf, diskutierten wir über große Persönlichkeiten, oder vielmehr über die Möglichkeit ihrer Existenz. Ich war dafür, er war dagegen. Er sagte zu mir: „Die französischen Philosophen haben doch schon lange gesagt, dass der Autor tot ist. Der Autor ist nur ein Produkt, eine Auswirkung der gesellschaftlichen Verhältnisse, er hat keine Autonomie in sich selbst, also ernsthaft von einem Kanon genialer Autoren zu sprechen, ist wie die Wiederholung der allzu naiven Märchen der Romantik“. So etwas Ähnliches hat er gesagt, aber ausführlicher, eindringlicher und so, als würde er eine unmissverständliche Predigt von einem Berg aus halten. Diese Rede untergrub meine Widerstandsbemühungen, und ich ging nach Hause, ohne etwas vorzuweisen, frustriert über meine Ohnmacht, aber die Diskussion war nun in meinem Hinterkopf, angeheizt durch die Erkenntnis, dass ich nicht nur gegen einen Freund kämpfte, sondern auch gegen eine intellektuelle Tendenz, die nicht auf eine einzelne Person beschränkt war.
Als ich das Gefühl hatte, eine ausreichend starke Antwort im Kopf zu haben, stieg ich aus der Dusche, setzte mich an den Computer und schrieb dies:
„Erstens stimmt es nicht, wie Roland. Barthes sagt, dass der Schriftsteller nur ein Schreiber des ihm diktierten Textes ist, nicht aber der Autor. Es ist wahr, dass er den verschiedenen anonymen kulturellen, historischen und sozialen Bedingungen unterworfen ist, die ihn durchdringen. Es stimmt nicht, dass diese den Autor endgültig und vollständig bestimmen, als wäre er eine Schneeflocke, die zu einer Pfütze schmilzt, oder eine einzelne Melodie, die sich in einer Sinfonie verliert.
Den Befürwortern des Todes des Autors fehlt die Ehrlichkeit, sich selbst und anderen gegenüber einzugestehen, dass sie in der Kultur nur das Gemeinsame, Anonyme, Überindividuelle und Anti-Individuelle sehen wollen – also die unterste Ebene der kulturellen Welt. Aber diese Sichtweise zu wählen, bedeutet, das zu ignorieren, was jedes Kunstwerk und jeden Künstler groß macht. Im Gegenteil, gerade Künstler zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich über die Ebene der etablierten Bedeutungen erheben und das Selbst erhöhen.
Ein Schriftsteller zeichnet sich dadurch aus, dass er verschiedene vorgefertigte Bedeutungen verwendet, um seinen schöpferischen Akt zu gestalten, und er erhebt sich über sie – dies ist von der elementaren Logik der Unterordnung diktiert. Er ordnet die äußeren Bedingungen sich selbst unter, nicht umgekehrt. Deshalb hat Sartre zu Recht gesagt, dass Flaubert Madame Bovary nichtgeschrieben hat, weil er ein Bourgeois war, sondern weil er Flaubert war. Der Schriftsteller ist kein Schreiber, sondern ein Schmied – ein Schöpfer neuer Stile, neuer Klischees, neuer Sinn- und Gefühlswelten.
Seien wir offen und ehrlich: Wenn wir wirklich an die Vorherrschaft überindividueller Kräfte glauben würden, dann wäre es egal, was wir lesen. Deshalb ist es eine furchtbare Ironie, dass wir Barthes, Foucault, Deleuze, Derrida lesen und nicht irgendeinen Antoine aus der französischen Provinz, denn wir glauben nicht nur an den Autor, sondern wir glauben sogar, dass es bessere und schlechtere Autoren gibt.
2.
Die Theorien der französischen Intellektuellen über den Tod großer Persönlichkeiten sind das Produkt eines späten Stadiums in der Entwicklung von Kultur und Denken. Über den Tod der Großen zu sprechen, ist das Privileg einer Nation, die sich nach langer Arbeit in der Kritik an ihren größten Errungenschaften entspannen kann, die am Ende der Reise die Zügel loslässt und sich in eine allzu unverbindliche Reflexion vertieft. Se sind wie ein Mensch, der ein hohes Alter erreicht hat und nun seine Tage damit verbringt, kritisch über die Leidenschaften und Torheiten der Jugend nachzudenken.
Aber Kultur muss nicht den Intellektuellen dienen, und sie muss auch nicht den Intellektuellen dienen, wenn es in einem Kunstwerk in erster Linie um Inhalte geht, die die Intellektuellen verdauen können, seien es Sinnstrukturen, soziale Antagonismen, patriarchale Vorstellungen oder sonst etwas, oder was auch immer in der Literaturwissenschaft gerade in Mode ist, dann muss diese Sichtweise als Revanche politisierter Menschen ohne Talent und Geschmack gegen die kulturelle Übermacht verstanden werden, der gegenüber sie sich entfremdet fühlen, wie Bettler vor der Tür eines Balls. Was ein Kunstwerk in die Höhe hebt, wird nicht durch die analytischen Bemühungen des zersetzenden Verstandes erfasst, sondern durch Geschmack, Instinkt, Intuition – nennen Sie es, wie Sie wollen, aber um es zusammenzufassen – durch den Körper, der als einziger in der Lage ist, , die Unterschiede zwischen Intensitäten unterschiedlichen Grades zu erkennen, wodurch den größten Werken die höchste Note verliehen wird.
Kafkas Metamorphose – ich nehme dieses Werk als Beispiel, weil jede intellektuelle Theorie das Bedürfnis zu haben scheint, es in ihre eigene Sprache zu übersetzen und es gleichzeitig unter einem Bündel rationalisierter Interpretationen zu verstecken – ist ein großes Werk, nicht weil es gekonnt eine Kritik an einer profitorientierten Gesellschaft vermittelt, sondern weil es eine spezifische Intensität hervorbringt, die sich auf keine Theorie reduzieren lässt und sich in einer einzigartigen, leiblichen affektiven Erfahrung manifestiert. Die Analyse des Geistes, die diesen Affekt aufschlüsselt, spielt hier eine untergeordnete Rolle, wie der Mystiker, der versucht, eine intensive religiöse Erfahrung durch eine unbeholfene, verzauberte Kommunikation zu vermitteln.
3.
Bei einflussreichen Ideen wie dem Tod des Autors kommt es nicht nur darauf an, was sie sagen, sondern auch darauf, wie sie verwendet werden. Der Tod des Autors als Theorie ist in seinen Absichten einfach: Er ist ein Versuch, den Text von der Tyrannei der Intentionen des Autors zu befreien und ihn für eine kreative Interpretation vorzubereiten. Diese praktische Absicht von Barthes ist jedoch irrelevant, wenn wir die praktische Anwendung dieser Theorie betrachten, die durch ihre Opposition gegen die kulturelle Hierarchie eindeutig politisiert ist.
Ich meine, die französische Postmoderne rechtfertigt und dient dem demokratischen Gefühl – der Empfindlichkeit gegenüber jeglicher Hierarchie -, von dem die typisch französische Rebellion eine der vorherrschenden Ausdrucksformen ist.
Wenn also beispielsweise der französische Theoretiker Pierre Bourdieu den ästhetischen Geschmack auf ein Symbol des sozialen Status reduziert, kann ich nicht umhin, ein rationalisiertes demokratisches Gefühl zu sehen – hier ist alles dabei: von der Sensibilität für Privilegien über die Reduzierung des ästhetischen Phänomens auf einen intellektuell verdaulichen Inhalt bis hin zum Abstieg des Phänomens der Hochkultur auf eine niedere Ebene der Kultur.
Ich möchte fragen, ob die französischen Intellektuellen in ihrem stellvertretenden-Revolutionärismus nicht ein wenig komisch waren, als sie ständig einen symbolischen Tod für alles verkündeten, das sie als Unterdrückung empfanden? Den Tod des Autors, den Tod des Subjekts, den Tod des Menschen, den Tod der Metaphysik, den Tod der Geschichte… Fragen wir uns, was dahinter steckt: eine neutrale intellektuelle Themenwahl? Oder ist es eher die billige Sensationslust der französischen Kultur? Wie auch immer, man darf nicht an ihnen herumspielen, denn die Nachahmung eines Requisits birgt die Gefahr, sich von der Realität zu entfernen.
4.
Mein Vater, der in der Armee diente und von Bergen umgeben war, pflegte mir immer von seiner ersten Erfahrung des Anblicks eines Berges zu erzählen – wie er von dem unbeschreiblichen Gefühl der Erhabenheit dieser Bergkette überwältigt war. Als ich das erste Mal vor einem Berg stand, musste ich enttäuscht zugeben, dass ich mich vor einer stummen, idiotischen Masse befand. Ich sehe dies als Analogie zu einer Situation, in der man mit einem Stück des kulturellen Kanons konfrontiert wird, das in der eigenen Erfahrung nichts als ein Gefühl der Enttäuschung hervorruft.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Teenager Metamorphosen las, als mir das absurde, immanente Grauen des Buches das Gefühl gab, etwas Obszönem als Pornografie begegnet zu sein, pervers komisch, aber auch tragisch. Und wie blass die nachfolgenden Interpretationen im Vergleich zu diesem Affekt waren.
Die französische Postmoderne mit Herrn Bourdieu im Zentrum scheint mir unter anderem deshalb nützlich zu sein, weil sie uns lehrt, der geschmacklosen Verehrung der kulturellen Autoritäten, der großen Persönlichkeiten, misstrauisch gegenüberzustehen. Denn hier besteht die große Gefahr, eine Person nicht wegen ihres Talents, ihrer Kreativität, sondern nur deshalb als groß anzusehen, weil sie gesellschaftlich anerkannt ist, weil andere sie für groß halten. So entstehen kulturelle Fata Morganas von Gipfeln, die das wirkliche Erleben der Höhe simulieren. Selbst das Gefühl der Entfremdung gegenüber einem solchen „Kanon“ ist ein positives Symptom, ein Ausdruck von Gesundheit, von Leben, von produktiver Unterscheidungsfähigkeit – also von Geschmack.
5.
Wenn wir uns ein Gedankenexperiment erlauben, wenn wir uns die Förderung und Pflege der Hochkultur als höchsten Wert vor Augen führen – welche Ideen, Werte, individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen wären dafür förderlich und welche wären schädlich?
6.
Das Herumgeeiere der französischen Intellektuellen von heute ist in vielerlei Hinsicht verständlich, aber es ist nicht zu rechtfertigen, denn es steht in direktem Widerspruch zur Entwicklung der Hochkultur. Wenn wir unser Verlangen nach Nachahmung befriedigen wollen, sollten wir eine Gesellschaft nachahmen, die ihren Sinnen, ihren Instinkten vertraut, die Kultur als Zukunft und nicht als Vergangenheit begreift, die dem Wunsch nachkommt, die höchsten Fähigkeiten des Menschen als gesellschaftliche Priorität zu sehen – ich meine natürlich das antike Griechenland. In dieser Hinsicht wird es den Gesellschaften, die die Interessen der Hochkultur vernachlässigen, immer ein ständiger, gewissenhafter Vorwurf sein.
Es gibt kein besseres Gegenmittel gegen die anämische Rationalität, die Verkümmerung des Fleisches, die Erschlaffung der Sinne, die in der heutigen Kultur vorherrschen, als den griechischen Agonismus. Griechische Dichter, Dramatiker, Philosophen und Intellektuelle wetteiferten mit einer Schärfe, die man heute nur noch bei Sportlern findet. Für den griechischen Intellektuellen war es offensichtlich, was die Spitze und das Ende der Kultur bedeutete, was bedeutet, Gewinner und Verlierer zu sein. Es ist der Kampf, in dem sich die wahre, nicht simulierte Individualität und Größe herauskristallisieren, der Kampf, der das Individuum aus dem anonymen Chaos des Alltags und des gesellschaftlichen Gesprächspartners hervortreten lässt. In diesem Zusammenhang nehmen flüchtige Begriffe wie „Hochkultur“, „große Persönlichkeit“, „Genie“ lebendige, greifbare Formen an.
Kampf mobilisiert schöpferische Kräfte, Innovation, aber auch Eifersucht, Hass, Rache, Gehässigkeit, Ehre – Kampf motiviert im besten und schlimmsten Sinne des Wortes. „Der moderne Mensch fürchtet am Künstler nichts so sehr wie den Ausbruch eines persönlichen Kampfes, während die Griechen den Künstler nur im persönlichen Kampf kennen“[1], sagt Friedrich Nietzsche über die griechische Kultur und fügt hinzu, dass Eifersucht und Hass die wesentlichen Elemente waren, aus denen die griechische Hochkultur hervorging. sagte Nietzsche über die griechische Kultur und fügt hinzu, dass Eifersucht und Hass die wesentlichen Elemente waren, aus denen die griechische Hochkultur hervorging.
Es ist erwähnenswert, dass selbst die oben genannten französischen Intellektuellen – der letzte Lichtblick am philosophischen Firmament – in einem Umfeld heftiger persönlicher Konkurrenz aufgewachsen sind. Man denke nur an die Beziehung von Derrida zu Foucault, von Deleuze und Guattari zu Lacan und schließlich sogar an die Freundschaft zwischen Freunden wie Foucault und Deleuze, die von Misstrauen, Hass, Eifersucht und Ehrfurcht geprägt war. Trotz ihrer rigorosen intellektuellen Haltung wetteiferten sie alle um die Aufmerksamkeit des Publikums, wie ein typischer antiker Grieche.
Diesem Gedanken folgend wäre es sinnvoll und angemessen, die Idee von Kulturwettbewerben in Litauen bewusst zu fördern, indem Turniere organisiert werden, in denen Vertreter verschiedener Kulturbereiche gegeneinander um Preise antreten. Heutzutage sind solche Wettbewerbe ein glücklicher Zufall, aber sie waren nie als Priorität der Kulturpolitik gedacht.
7.
Mehr als glücklich zu sein, wünscht sich ein Mensch der Hochkultur, motiviert zu sein. All diese hyper-intellektualisierten, skeptischen Theorien entsprechen nicht diesem Grundbedürfnis der Hochkultur. Sie fördern nicht das Wachstum und die Entfaltung der höchsten Fähigkeiten des Menschen, deren geschaffene Welten das sind, was der Begriff „Hochkultur“ bezeichnet.
Es gibt anspruchsvolle und unerbittliche Individuen, für die die zeitgenössische intellektuelle Debatte nicht dem Bedürfnis nach Verbesserung entsprechen kann, weil dieser Diskurs größtenteils ein kritischer Diskurs ist – ein Diskurs, der nichts nährt, der keine Motivation und keinen Enthusiasmus hervorruft, sondern im Gegenteil darauf abzielt, alles zu trüben, zu schwärzen und aufzuheben, einschließlich jeglicher Manifestationen von Größe, im schlimmsten Fall und im besten Fall, der Schwebe der Ungewissheit aussetzen. Vor dem zeitgenössischen intellektuellen Hintergrund halte ich es mit Sloterdijk, einem Kritiker der Höhenangst, der uns eindringlich dazu auffordert, uns nicht der Erpressung des demokratischen Gefühls zu beugen. In einem Text sagt er: „Beweisen Sie, dass Ihnen der Unterschied zwischen dem Vollkommenen und dem Unvollkommenen nicht gleichgültig ist, beweisen Sie, dass Leistung – Coolness, Arete[gemeint ist Tüchtigkeit – d. Ü.], Tugend – für Sie kein Fremdwort ist, vertrauen Sie nicht dem Spießer in Ihnen, der meint, Sie seien gut, wie Sie sind! Widerstehe nicht dem Drang, in Form zu kommen! Nutze die Gelegenheit, mit Gott zu trainieren.“[2]
Als ich mit dem Schreiben fertig war, fühlte ich mich unmenschlich müde und stellte fest, dass es dunkel war. Ich fiel ins Bett und träumte von einem kleinen Mädchen und einem riesigen weißen Hund, die am Ufer der Neris standen und deren Haare im Wind wehten.
Aus dem Litauischen von Ruth Leiserowitz
[1] Das Zitat ließ sich nicht im Original überprüfen bzw. Die genaue Quelle feststellen [d. Ü.].
[2] Das Zitat ließ sich nicht im Origina überprüfen [d.Ü.] Peter Sloterdijk, Du musst Dein Leben ändern. Über Anthropotechnik. , Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009.