Rasa Alė Petronytė (Studentin der Literaturanthropologie und Kultur an der Universität Vilnius)
„Was soll ich von der Reise mitbringen?“ „Bring die Berge mit.“ „Nimm sie nicht mit, wir können sie nirgendwo hinstellen.“
Dieser Dialog war echt und liegt schon Monate zurück. Meine Freunde und ich haben damals nur gelacht, denn wenn man in der kompaktesten, aber wirklich einer schönen Ecke der Welt lebt, wo man kaum ein Bügelbrett oder eine Yogamatte ausbreiten kann, kann man auch kein Klavier dorthin schleppen. Und wenn man darüber nachdenkt, ist es offensichtlich, dass Litauen großes Glück hatte, sich für Baranauskas‘ „Berge über Berge und auf diesen Bergen…“ anstelle von Bergrücken und Bergrücken entschieden zu haben. Ich beeile mich, dem Leser zu versichern, dass ich die Berge sehr mag. Auch ich finde ihre blauen Silhouetten seltsam wehmütig, und ich musste mit meiner Stimme und meiner Seele knurren, wenn sich ein weites, glitzerndes Tal in der steilen, nackten Sonne ausbreitete. Doch weniger als dreihundert Meter des High Dome sind genug für uns. Und wenn wir noch einen echten Gipfel hätten, hätte Zarathustra ihn bestiegen, und Litauen wäre heute ein ganz anderes Land. Der Kessel der Weltkultur könnte die Ernte unserer Gipfel kaum verkraften.
Wozu ist Zarathustra da? Eine dumme Frage – es versteht sich von selbst, dass dieser ehrwürdige persisch-irische Mann (der zweifellos die älteste und damit beste litauische Sprache der Welt sprach) nur deshalb nicht hier lebte, weil es in diesem Land keinen echten litauischen Berg gab. Wo sollte er, ein armer Mann, seine zehn Jahre als Einsiedler verbringen, wo sollte er zum geistigen Gipfel aufsteigen? Wenn es einen solchen litauischen Berg oder gar einen ganzen Berg gegeben hätte, würde unser Tourismussektor noch heute eine riesige zoroastrische Kulturwiege schaukeln. Palaimon, der die steinige Memel hinuntersegelte und einen Tempel auf dem höchsten Hügel der Welt errichtete, hätte seine fürstlichen Nachkommen in die Reihen der Schüler Zarathustras aufgenommen. In der Höhle des Bergkönigs Mindaugas könnten noch heute Anhänger und Postkarten gekauft werden.
Das litauische Gebirge (mit den Gebirgsketten Zarathustra, Palaimon und Mindaugas) müsste sich sicherlich bis in die Aukštaitija erstrecken. Nicht nur, um die Verbannung der bereits erwähnten Verse von Baranauskas zu vermeiden, sondern auch, um sich vorzustellen, was für kontrapunktische Gesänge und Bergziegenlieder von den aukštaitischen Knaben, im Dialekt šīrpais genannt, an den Berghängen zu hören sein würden. Der rauschende Strom der Šventoji-würde die Schluchten hinunterfließen, aber natürlich gäbe es auch noch einen anderen schönen Wasserfall. Neben den Wasserfällen befänden sich die klarsten Seen, die sich heute perfekt für Hochzeitsfotos eignen würden und in denen einst der Körper von Vienuolis Veronika[1] ruhte. Die Züge schlängelten sich gemütlich durch die Täler und über die Hügel.
Mit frischem Wind hätte Baranauskas seine mathematischen Bestrebungen noch gründlicher entwickeln können. Heute stürzen sich Schulkinder auf der ganzen Welt auf zwei sehr wichtige Theoreme von Baranauskas. Antanas Strazdelis, der sich vor seinen Vorgesetzten in der Tauwetterzone versteckt hielt, wäre glücklich gewesen, seine priesterliche Ziegenfarm zu hüten und frei zu reimen. Seine Verse würden von fahrenden Landstreichern in den Tälern verbreitet werden. Biliūnas wäre von der Tuberkulose geheilt, wenn nicht gar befreit worden. Tatsächlich hätten wir eine ganze Generation von Heuristen der Intelligenz gerettet. Nicht nur die Hochländer, sondern auch die Gäste von weiter her – Kudirka, Višinskis, Čiurlionis – hätten im Alter getrunken und wären, nachdem sie sich im Sanatorium von Alanta oder im noch weiter entfernten Sanatorium von Obeliai erholt hätten, mit neuer, gesunder Inspiration an ihre Arbeit gegangen.
Das ist natürlich alles sehr schön. Die wichtigste Änderung, die nicht erwähnt wurde, ist jedoch, dass das Gebirge in der Aukštaitija uns oft von unserem Nachbarn im Osten abgeschirmt hätte. Wir hätten den Vertrag von Lublin nicht unterzeichnen müssen – wir wären unseren ewigen Feinden, den Polen, nicht verpflichtet gewesen. Natürlich hätten wir ohne den polnischen Ballast einen wohlhabenden Staat aufrechterhalten können, ohne zwischen Österreichern, Preußen und Russen aufgeteilt zu sein. Wir hätten uns auch teilweise vor den Letten geschützt. Die haben uns zwar nichts getan, aber es macht keinen Spaß, immer und überall gemeinsam Spaß zu haben. Wir wären ein bedeutendes, kultiviertes und hochstehendes Land, so dass wir den Namen einer winzigen Union, eines baltischen Landes, nicht brauchen würden.
Diese glücklichen Umstände würden uns heute Skandinavien am nächsten bringen. Nicht nur in Bezug auf die Güte unserer Bildungs- und Sozialsysteme, Glücksindizes und ein starkes Selbstwertgefühl, sondern auch – oh ja – in Bezug auf die Berge. Die Dänen sind hier ärmer, so dass nur die Schweden und Norweger uns wirklich verstehen könnten. Ein bärtiger Litauer, der tagein, tagaus denselben gemusterten Pullover trägt (der zu 100 % aus der Wolle von aukštaitischen Bergziegen besteht), setzt sich am Wochenende in seinen Hybrid-Geländewagen und fährt zu der Berghütte, die er über Airbnb mietet, um Gäste zu beherbergen. Natürlich könnte er das auch aus der Ferne tun, aber viele Litauer sind so gastfreundlich, dass sie gerne auch eine längere Strecke fahren. Es ist wichtig, dass sich die Neuankömmlinge im Paradies hier wirklich willkommen fühlen. Nachdem er die Gäste begrüßt und sich auf den Heimweg gemacht hat, schlängelt sich der Litauer durch die Serpentinen und betrachtet den Reif auf den Gipfeln, die in der Abendsonne erröten. Als er das Schild „Zarathustra Museum, 3 km“ passierte, dachte er daran, dass er am nächsten Wochenende mit seiner Familie dorthin fahren sollte. Es ist schon lange her, und das Museum scheint renoviert worden zu sein, mit einer schicken Ausstellung und allerlei interaktiven Spielen.
Als die Vision verblasst, denke ich an den Wald von Labanoras, das Bier und den Lehm von Pasvalys, die Seen von Zarasai und das Haus meiner Urgroßeltern in Rokiškis.
Am frühen Donnerstagmorgen in diesem Juni knie ich auf dem Bronius-Laurinavičius-Platz vor dem Erlöser mit dem Kreuz. Daneben stehen Bänke, auf deren schamlose Bearbeitung durch Tauben er nur demütig blicken kann. Ich warte auf meine Crew, die mich in ein Luxushotel am Stadtrand von Vilnius bringt, zu einer Konferenz mit Prestige, Prosecco und Sitzgelegenheiten. Gestern gab es einen speziellen Soundcheck, und heute werden wir die Veranstaltung mit – hören Sie sich das an – einer Beatbox und einem Medley eröffnen. (Für Kontakte und um in Ihre Veranstaltung aufgenommen zu werden, senden Sie mir bitte eine E-Mail.) Während ich da noch stehe, kommt ein alter Mann mit einem Stock und einer ganzen Reihe leicht verblichener, aber immer noch gouache-grüner Anzüge auf mich zu – ein Blazer, eine Hose und eine Mütze, auf deren Rückseite das Wort topclean.lt leuchtet. Er bleibt vor Christus mit dem Kreuz stehen, nimmt seinen Hut ab, schüttelt den Kopf, als ob er erschrocken wäre, und rennt auf die Kreuzung zu, wobei er mit einem nutzlosen Stock in der Luft herumfuchtelt. Ich meditiere immer noch über die Erscheinung des grünen Engels. Bald trifft meine Begleitung ein, wir beladen den Kofferraum und fahren los – Trüffel, Finanziers und Charts auf Großbildschirmen erwarten uns.
Wie passend, dass wir hier über die beiden Litauer sprechen, über den makabren Kontrast zwischen denen, die mit Fernbedienungen Präsentationsfolien verknüpfen, die mit dem Witz eines TED-Talks Analysen pfeffern, die „teuer“ in Auftrag gegeben wurden, und denen, die, wie ein Konferenzredner es ausdrückte, „im Leben gescheitert“ sind. Ein Wehklagen will aus der Brust brechen, wird aber von der Erkenntnis unterdrückt, dass sowohl der grüne Onkel von topclean.lt als auch der Unternehmer, der eine neu erfundene Zitrone mitsamt ihrer Schale zerquetscht, Aufsteiger sind. Beide klettern nach oben – der Unternehmer die Klippen und Schluchten der Diagramme hinauf, der Onkel über die Kalvarija-Straße nach Kalvarija, um dem Erlöser mit dem Holzkreuz zu folgen. Nein, nein, ich sage nicht, dass sich der eine für den anderen schämen soll, dass der Unternehmer, nachdem er eine Zitrone ausgespuckt hat, Buße tun und sich an der Demut des Onkels laben soll. Ich kenne keinen von ihnen, und ein Soziologiestudent, der Pierre Bourdieu mag, würde sagen, dass ihr Habitus, ihre sozial bedingten Neigungen, auf eine bestimmte Weise wahrzunehmen, zu denken, zu fühlen, so weit voneinander entfernt sind, dass es fast unmöglich ist, dass sie sich verstehen. Wenn sie sich irgendwo in den Karpaten befänden, würden sie wahrscheinlich denselben Gipfel besteigen, ein Sandwich oder einen Wasservorrat freundschaftlich teilen, aber hier ist die Sprache eine ganz andere, oder besser gesagt, es gibt sie nicht und kann sie nicht geben. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber sie sehen sich doch ein bisschen ähnlich. Zumindest in der Tatsache, dass der Imperativ der Vertikalen, unabhängig von den unterschiedlichen Gipfeln, die sie implizieren, beide betrifft. Nur der eine würde scheinbar von Fortschritt sprechen, aber die Wertehierarchie, die das Streben impliziert, ist für beide unausweichlich.
Jedes kulturelle Terrain sieht gleich aus, gezeichnet von Schemata und Kalvarienbergen. Auch wenn wir in den Bastionen der Geisteswissenschaften die vielen Interpretationen eines Werks verteidigen, über die Bedingtheit des Kanons, die sozialen Funktionen des Werks und des Namens des Autors sprechen und vor allem wissen, dass der Wert des Werks und des Schöpfers nicht nach mystischen oder parteiischen Kriterien gemessen wird, so treten uns doch die Prinzipien der Wertestruktur, die Prinzipien der Vertikalität, auf die Füße und legen uns unsanft auf den Asphalt. Dort liegend, fühlen wir uns ganz klein. Zuerst keuchen wir schwer, aber bald halten wir inne und denken beim Blick auf den leuchtenden Gipfel, der noch größer geworden ist: „Was für ein schöner Berg“.
Wenn wir über die litauische Kultur sprechen, wird der Imperativ der Vertikalen wirklich heimtückisch und steckt seine dicke Nase in jede Ecke. Zitternd vor unserer eigenen Kleinheit klammern wir uns krampfhaft an das Erkannte, wenn auch nur ein wenig, selbst an die kleinsten litauischen Gipfel. Jonas Mekas, Algirdas J. Greimas, Marija Gimbutienė, „Sonne und Meer“ leuchten an unserem heiteren nationalen Himmel. Musiker, Schauspieler, Schriftsteller, Päpste und Philosophen mit litauischen Wurzeln bilden ein eigenes Gebirge – auch wenn wir von ihrer Philosophie nicht beeindruckt sind, sind wir doch ein wenig froh, mit solch intelligenten Menschen etwas gemeinsam zu haben. Gott, ich will nicht predigen – als ich vor nicht allzu langer Zeit herausfand, dass die drei Kiszka-Brüder der Rockband Greta van Fleet Nachkommen einer Adelsfamilie aus dem Großfürstentum Litauen sind, sonnte ich mich im Licht dieser Erkenntnis.
All dies verdient ein Schulterklopfen oder zumindest ein nachsichtiges Lächeln. Natürlich haben wir Angst, für den Fußabtreter uninteressant zu sein, natürlich verbrennt der Ehrgeiz den hungrigen Körper des Landes. Kein Wunder, dass das kulturelle Terrain in Litauen immer mehr einem Kardiogramm gleicht. Das wäre auch nicht weiter schlimm – vielleicht brauchen wir solche (un)erreichbaren Gipfel wirklich. Ich frage mich nur, ob wir oft unterschätzen, welche vertikalen Prinzipien, abgesehen von der internationalen Anerkennung, das zerbrechliche und lyrische litauische Herz schlagen lassen.
Aber wir sind nicht nur ratlos, sondern sogar vernünftig: Wir kichern ironisch, wenn jemand erwähnt, dass dieser oder jener klangvolle Nachname „litauischen Ursprungs“ ist, wir lachen und lachen, wenn wir hören, dass einer der Menschen, die wir kennen, mindestens einen Großelternteil hatte, der Litauer war. Wir lachen auch über diejenigen, die nachdenklich und fürsorglich erklären, dass die Litauer von den Römern abstammen und dass unsere Sprache die einzigartigste von allen ist (mea culpa). Wenn wir auf diese Weise lachen, verschwinden alle Reste von Provinzkomplexen, und die Buchstaben „wahrer Europäer“ leuchten über dem Kicherer.
Ach, wäre es doch so einfach, sich aus den Fängen der Kardiogramm-Kultur zu befreien. Wir würden fliegen wie die Falken.
Aus dem Litauischen von Ruth Leiserowitz
[1] Die Autorin nimmt hier Bezug auf die Hauptfigur eines Romans von Antanas Vienuolis. Es geht um eine ledige Magd, die sich schwanger das Leben nimmt [d. Ü.].